"More than a stunning debut. It is the announcement of a bold new literary voice"
—Stephen Chbosky, author of The Perks of Being a Wallflower

Ich vermisse dich so sehr. Normalerweise stelle ich mir vor, dass die Seelen der Verstorbenen immer bei uns sind, wenn wir an sie denken, aber du hast nie an eine Existenz nach dem Tod geglaubt. Deswegen kommt es mir egoistisch vor, dich praktisch dazu zu zwingen, deine verdiente Ruhe mit meinen Problemen voll zu stopfen. Irgendwo kann ich deine Einstellung verstehen. Du wurdest 92, hast vier große Epochen der deutschen Geschichte miterlebt. Zuerst fünf Jahre der Weimarer Republik, dann das Regime der Nazis unter dem du nur knapp überlebt hast. Kriegsgefangenschaft unter den amerikanischen Soldaten, als du erst 18 warst und dann durch weiteres Glück nach einem halben Jahr wieder freigelassen wurdest. Nur knapp bist du vor dem Grenzschluss aus der DDR entkommen und konntest meine Großmutter kennenlernen. Selbst nach dem Mauerfall hast du die 30-jährige Wiedervereinigung gerade noch so mitbekommen, aber auch, wie es langsam mit Deutschland wieder den Bach hinunter geht, weil sich nur nich wenige an die Nazis erinnern können. Ganz leicht bin ich froh, dass du das nicht mehr miterleben musst. Etwa zwei Wochen nach deinem Tod ist eine Studie in Deutschland erschienen, laut der 27% der Menschen hier Antisemiten sind. 27%!!! Si würdest dich so sehr aufregen. Ich will nicht in einem solchen Land leben, aber ich kann auch nicht einfach gehen. Das haben mir die Reaktionen meiner Verwandten gezeigt. Sie alle brauchen mich. Danke, dass du mir so etwas beigebracht hast und so vieles andere. Jeder einzelne zählt. Ich weiß, dass dieser Brief nie bei dir ankommen wird (wenn du recht hast) , aber vermutlich gibt es mir Stärke. Ich danke dir für alles, was du mir je gegeben hast und hoffe für dich, dass es so ist, wie du es dir vorgestellt hast, wo auch immer du gerade bist.
Wir alle vermissen dich so, so sehr.
In größter Liebe